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Entstanden im Rahmen des Seminars „An Introduction to Bioethics“ von Dr. Eric Oberheim an der HU



Vor der Zeugung zum Gentest?


von Peter Schaller


Wir werden geboren, durchleben eine mehr oder weniger behütete Kindheit, und plötzlich, im Allgemeinen mit Eintreten der Pubertät eröffnen sich uns Fragen nach dem Wie und Warum unserer Existenz. Haben meine Eltern meine Zeugung geplant oder war es nur „Zufall“. Welches „Setting“ haben sie ausgewählt, beziehungsweise anzubieten. Aber auch die Frage ob sie sich Gedanken über unsere „genetische Unversehrtheit“ gemacht haben, kann, besonders wenn eine vererbte Erkrankung vorliegt, im Raum stehen. In diesem Essay möchte ich die Frage diskutieren, ob Eltern ihren Kindern gegenüber Verantwortung für deren im Einzelfall missliche Lebenssituation aufgebürdet werden soll, oder ob das Konzept Schicksal die Eltern von ihrer vermeintlichen Pflicht, optimale Lebensbedingungen für ihren Nachwuchs zu schaffen, entbinden kann.

Zu Anfang möchte ich mich der Frage widmen, inwieweit Eltern verpflichtet sind, ihren Kindern optimale Lebensvoraussetzungen zu gewähren. Im Anschluss möchte ich dann die spezielle Frage, ob für Eltern eine Pflicht besteht, diese Voraussetzungen auch auf genetischer Ebene, zwar nicht zu optimieren aber zumindest hinsichtlich erblicher Erkrankungen risikoarm zu gestalten, behandeln.

Wir müssen nun zunächst unterscheiden, ob die Fortpflanzung als bewusster oder unbewusster Akt geschehen ist. Bei letzterem ist davon auszugehen, dass die Zeugung sozusagen als Nebenprodukt, oder je nach Sichtweise auch als natürliches Ziel des Sexualtriebes, geschieht. In diesem Fall scheint mir eine geringere Verpflichtung der Eltern zu bestehen, die Zukunft ihrer Kinder hinsichtlich ihrer sozial und körperlich optimalen Entwicklung zu überprüfen. Vielmehr entscheiden sich die Eltern ja gerade durch eine unbewusste Zeugung, die Fortpflanzung nicht kontrollieren zu wollen und somit der Natur, ähnlich der Vermehrung in der Tierwelt, ihren freien Lauf zu lassen. Jedoch ist die bewusste Entscheidung ein Kind bekommen zu wollen, was ein im Gegensatz zur Tierwelt einzigartiger Vorgang ist, der auf das nur beim Menschen vermutete Vorhandensein von Bewusstsein zurückzuführen ist, in Bezug auf die Fragestellung, ob die Eltern für die Entwicklungsvoraussetzungen verantwortlich zu machen sind, hier von größerem Interesse. Die Motive, die einem Kinderwunsch vorausgehen, sind in gewisser Weise fast ausschließlich egoistischer Natur. Da wären zu nennen: der Wunsch nach einer um eine Generation verschobenen Selbstverwirklichung, also die Idee, mein Kind soll das erreichen, was ich in meinem eigenen Leben nicht geschafft habe, oder aber auch der Gedanke, sein Leben, besonders im fortgeschrittenen Alter durch Kinder bereichern zu wollen. Mit einer so gelagerten Motivation im Hintergrund kann nun von den Eltern schon eine sorgfältigere Prüfung der Umstände, unter denen ihr Kind durch ihre Entscheidung eventuell zu leiden hat, gefordert werden. Die Entwicklung eines Kindes ist von vielfältigen Parametern geprägt. Abgesehen von den genetischen Voraussetzungen, die von den Eltern mitgegeben werden, spielen die sozialen und materiellen Umstände natürlich eine bedeutende Rolle. Der Mensch ist nicht nur die Summe seiner Gene, sondern vielmehr ein Produkt seiner Gene und seiner ihn prägenden Umwelt. Diese äußeren Faktoren sind jedoch sehr schwierig zu bewerten. Darüberhinaus scheint es auch bedenklich, Eltern aus gesellschaftlich schlechter gestellten Schichten die Bürde aufzuerlegen ihrem Kinderwunsch aufgrund der zu bei ihrem Kind zu erwarteten Startnachteile abzuschwören und die Fortpflanzung den bessergestellten Schichten zu überlassen.

Ein übersichtlicheres Bild ergibt sich jedoch bei der Betrachtung der genetischen Voraussetzungen. Die Risiken eine genetische vererbbare Krankheit an seine Kinder weiterzugeben sind über alle Schichten gleich verteilt und Ursache und Wirkung lassen sich mit den rasanten Entwicklungssprüngen in den Biotechnologien immer genauer abschätzen.

Inwieweit ein genetischer Test auf Erberkrankungen sinnvoll oder angebracht ist, muss aber noch diversifiziert werden. Zunächst stellt sich die Frage, ob eine bestimmte Krankheit in den Familienhistorien der Eltern vorliegt, oder ob ohne Verdacht auf eine Solche eine Reihe bekannter und überprüfbarer Erbkrankheiten getestet werden soll. Für den ersten Fall kann wohl eher eine Verpflichtung zum Testen hergeleitet werden, da die Wahrscheinlichkeiten hier um ein Vielfaches höher liegen als bei einer unbelasteten Familienhistorie.

Bei dem zweiten Fall ist die Wahrscheinlichkeit eine Erbkrankheit zu entdecken statistisch so gering, dass das Risiko vernachlässigbar scheint.

Nun folgt hieraus jedoch ein Dilemma. Bringt ein solcher Test, an den Eltern durchgeführt, ein positives Ergebnis, besteht immer noch die Möglichkeit, vorausgesetzt die Wahrscheinlichkeit einer Weitervererbung ist eher gering als hoch einzustufen, nach dem Prinzip „Trial and Error“ zu verfahren. Also eine Zeugung auf Probe durchzuführen und im negativen Fall den Fötus abzutreiben oder im Falle einer in vitro Fertilisation die entstandenen Embryonen nach vorherigem Testen auszuwählen. Die Möglichkeit des vorherigen Testens von Embryonen ist jedoch beispielsweise in Deutschland nicht erlaubt und es muss auf die Variante der probeweisen Befruchtung und der daraus eventuell folgenden Abtreibung zurückgegriffen werden. Dieses Szenario ist schon allein wegen der gesundheitlichen und seelischen Risiken für die Mutter bedenklich.

Ein weiterer Punkt ist die Art der zu erwartenden Erkrankung. Ich möchte hier eine grob vereinfachte Einteilung in zwei Gruppen vornehmen. Erstere würde aus Krankheiten bestehen, die von Geburt an vorhanden sind und zu denen zum Beispiel das Fragile-x Syndrom gehört. Es kann in solch einem Fall zwar eine erhebliche Beeinträchtigung des frei gestaltbaren Lebensvollzuges im Sinne „normaler“ gesellschaftlicher Lebensweisen vorliegen, jedoch mag die Krankheit für den Betroffenen mitunter weit weniger dramatisch gefühlt werden, als für sein Umfeld. Insbesondere für die Eltern kann das Aufziehen eines behinderten Kindes eine starke Beeinträchtigung darstellen. Der Erkrankte aber bemerkt mitunter gar nicht, dass er „behindert“ ist und führt mit Hilfe von guten Betreuungsangeboten ein emotional im positiven Bereich liegendes Leben.

Zur zweiten Gruppe gehören Erkrankungen, die erst später ausbrechen, wie z.B. Chorea Huntington. In diesem Fall lebt der Betroffene bis zum Ausbruch der Krankheit ohne körperliche Einschränkungen, weiß aber ab der Kenntisnahme des Ergebnisses des Gentests, dass ihm ein Lebensabschnitt unter teils qualvollen Bedingungen bevorsteht. Auch wenn dies erst, wie im Falle von Chorea Huntington in einem Alter von etwa 30 bis 50 Jahren, eintreten wird, ist sein vorheriges Leben wie von einer tickenden Zeitbombe überschattet.

Natürlich kann es auch hier Betroffene geben, die sagen, dass dieses Zeitfenster ausreichen kann ein erfülltes Leben zu führen und dass die gesundheitlichen Einschränkungen eben einfach früher beginnen als bei einer genetisch nicht vorbelasteten Vergleichsperson, die zwar später, aber dennoch mit hoher Wahrscheinlichkeit im Laufe des Älterwerdens altersbedingte Leiden von oft nicht minderer Schwere entwickeln wird. Bei beiden Gruppen lassen sich keine allgemeingültigen Verhaltensregeln vorschlagen. Einerseits kann die Unterlassung eines durch die Familienhistorie indizierten Gentests zu späteren Schuldzuweisungen des erkrankten Kindes führen, andererseits kann eine aus einem Gentest resultierende Abtreibung oder nicht erfolgte Zeugung ein zwar gesundheitlich beeinträchtigtes, aber dennoch nicht minder erfülltes Leben verhindern. Wie der durch dieses verhinderte Leben entstandene Schaden mit dem durch eine Behinderung eventuell entstehenden Leid gegeneinander abzuwägen ist, möchte ich an dieser Stelle nicht weiter ausführen. Hierzu wäre eine größer angelegte Diskussion über den Nutzen und Schaden von Abtreibungen an sich notwendig.

Wie steht es also nun mit der zu Anfang aufgeworfenen Frage, ob Eltern ihren Kindern gegenüber verpflichtet sind, mittels genetischen Testens das für ihre Kinder bestehende Risiko einer vererbbaren Erkrankung zu ermitteln und gegebenenfalls angemessen darauf zu reagieren? Wir haben nun gesehen, dass es, je nach den eigenen genetischen Voraussetzungen, den verschiedenen Stadien in denen ein Test stattfinden kann und der Art der zu erwartenden Erkrankung durchaus unterschiedliche Antworten auf diese Frage geben kann.

Es scheint jedoch beinahe so zu sein, dass die Eltern unter einer Behinderung oder Beeinträchtigung der Gesundheit ihres Kindes mehr zu leiden haben, als das Kind selbst. Wer mit einer Behinderung zu leben hat, kann sich gegebenenfalls damit arrangieren und diese als Schicksal akzeptieren. Für die Eltern jedoch besteht, unter Umständen lebenslänglich, abgesehen von den in solch einem Falle im Alltag zu bestehenden Schwierigkeiten, das Gefühl, durch das Ignorieren der heutigen technischen Möglichkeiten, leichtsinnig Leid bei einem ihnen nahe stehenden Menschen hervorgerufen zu haben. Vielleicht sollten Eltern somit, wenn nicht, um späteren Schuldzuweisungen ihrer Kinder vorbeugen zu wollen, so aber um ihren eigenen Erwartungen und Fähigkeiten Rechnung zu tragen, vor einer geplanten Zeugung einen Gentest in Erwägung ziehen.

Abschließend möchte ich noch anmerken, dass die in immer kürzeren Abständen neu entwickelten Techniken, die scheinbar der Menschheit dienen und unser Leben verbessern sollen, auch als Last empfunden werden können.

Müssen wir uns verpflichtet fühlen jeden Zufall auszuschließen und als eigentlich intuitons- und emotionsgeleitetes Lebewesen einer Rechenmaschine gleich unsere Entscheidungen zu fällen?

Und wie werden wir uns verhalten, wenn dereinst die Wissenschaft feststellt, dass die in vitro Fertilisation der „altbewährten Art der Zeugung“ überlegen ist?